Am letzten Dienstag war ich am Swiss Green Economic Symposium in Winterthur eingeladen. Das Thema lautete: „Nachhaltige Gewinne, lokal und weltweit: Wie schaffen wir das?“ Von allen 12 Foren, die in Parallelsessionen stattgefunden haben, hat mich dasjenige mit dem Titel: 100% Erneuerbare für die Schweiz - Traum oder Realität? am meisten interessiert. Wie der Titel des Symposiums vermuten liess, bestand die überwiegende Mehrheit der schätzungsweise 500 Teilnehmer aus überzeugten Mitgestaltern einer grünen Zukunft. Dass grüne Wirtschaft erfolgreich sein wird, stand nur im Titel als Frage. Vermutlich wurde dieser so gewählt, weil bis heute die Mehrzahl der grünen Startups auf staatliche Förderbeiträge angewiesen sind, und ausser in der IT Branche nur wenige Selbstflieger auszumachen sind.
Im von mir besuchten Forum galt es drei Teilfragen zu beleuchten:
a) Kann der schweizerische Gebäudepark zu 100% beheizt werden,
b) ist eine 100% erneuerbare Mobilität denkbar und
c) ist eine 100% erneuerbare Stromversorgung denkbar.
Nicht ganz überraschend waren die Antworten auf diese Fragen in den drei Kurzreferate positiv. Gemeinsam war allen drei Erklärungen das „wenn“. Diesem ominösen „wenn“folgte allerdings keine Vertiefung des Themas und so blieb am Schluss dieses Fazit:
Die Schweiz ist zu 100% erneuerbar beheizbar, wennalle dazu benötigte Energie erneuerbar erzeugt wird, und wenn alle Liegenschaftsbesitzer sämtliche Gebäude – ob neu oder alt – energetisch voll sanieren und sämtliche Gas- und Ölheizungen mit Holzöfen, Wärmepumpen oder Fernwärme ersetzen. Das ist eine grossartige Erkenntnis. Darauf wäre ich nie gekommen. Wie sich das rechnet, ob es volkswirtschaftlich überhaupt möglich sei und ob der Aufwand dazu nicht sogar kontraproduktiv oder für die Bausubstanz schädlich sei, schien niemand zu interessieren. Hauptsache, und das wird wohl so in der Zusammenfassung stehen, es sei möglich.
Eine 100% erneuerbare Mobilität sei möglich, wennder benötigte Strom erneuerbar produziert werde. Eine weitere Vertiefung dieser These folgte nicht und wäre auch zu peinlich gewesen, leitete jedoch gleich zur dritten Feststellung:
Eine 100% erneuerbare Stromversorgung sei möglich, wennin der Schweiz und in Europa genügend Wasser- Wind- und Solarkraftwerke gebaut würden. Zur Überbrückung von kalten Dunkelflauten müssten genügend Pumpspeicher und Batterien zur Verfügung stehen und falls auch das nicht reiche, könne aus Power-to-Gas Anlagen das Schlimmste überbrückt werden. Den Satz, dass irgendwo in Europa sowieso immer Wind wehe, habe ich seit langem auch wieder einmal gehört, obwohl bis heute der letzte Ingenieur wissen sollte, dass produzierter Strom bei grossregionaler Flaute zuerst vom nächstgelegenen Verbraucher genutzt wird und sicher nicht bis zum entferntesten transportiert wird. Die nötigen Grössenordnungen, Wirkungsgrade und Kosten von Power-to-Gas Anlagen oder die zusätzlichen Systemkosten fanden keine Erwähnung, geschweige denn eine Erörterung. Überhaupt schienen technisch-ökonomische Überlegungen in diesem Forum gar keine Rolle mehr zu spielen.
Noch nie wurde mir der Begriff Filterblase so eindrücklich praktisch vorgeführt. Da fand eine Art Feier statt, in welcher andere Ansichten gar nicht zur Sprache kommen sollten. Das war von der Anlage her auch nicht vorgesehen. Auf die Kurzreferate folgten pro forma Fragerunden, die sich auf ein paar wenige Minuten beschränkten. Eine Auseinandersetzung mit effektiven Herausforderungen fand überhaupt nicht statt und konnte aufgrund des gedrängten Programms gar nicht stattfinden.
Die eigentliche Frage des Symposiums „Wie schaffen wir das“ wurde nicht ernsthaft diskutiert, weil der Grundtenor vorgegeben war, „dass wir das schaffen“. Ich vermisse die nächtelangen Streitgespräche in verrauchten Spelunken der siebziger Jahre.